Curbside Pickup als Beispiel eines kulturellen Trugschlusses
Wenn es um neue Trends im Omnichannel-Commerce geht, schauen viele Entscheider nach Westen – insbesondere in die USA. Dort entstehen ständig neue Services, die Geschwindigkeit, Bequemlichkeit und Technologie in den Mittelpunkt stellen. Einer dieser Services ist der sogenannte Curbside Pickup: Kund:innen bestellen online und lassen sich die Ware direkt ins Auto bringen, ohne auszusteigen. Klingt smart. Funktioniert hervorragend in den USA. Aber ist das auch ein Modell für den deutschen Markt?
Spoiler: Nicht unbedingt.
Was ist Curbside Pickup eigentlich?
Das Prinzip ist simpel: Man bestellt online, fährt zum Store, gibt per App oder Anruf Bescheid – und das Personal bringt die Ware direkt zum Fahrzeug. Ohne Aussteigen. Ohne Schlange. Ohne Kontakt.
In den USA ist dieser Service bei Handelsriesen wie Walmart, Target oder Best Buy zum Alltag geworden – nicht zuletzt, weil große Parkflächen, breite Zufahrten und eine Drive-Thru-Mentalität dort Standard sind. Kund:innen erwarten Geschwindigkeit und Komfort. Der Service ist eine logische Fortführung ihrer Alltagsroutinen.
Und in Deutschland?
Hier wurde der Curbside Pickup vor allem während der Corona-Pandemie eingeführt – als Notlösung für Lockdown-Zeiten. IKEA, MediaMarkt, REWE und andere testeten entsprechende Modelle. Doch die Euphorie war verhalten. Warum? Es sind vor allem strukturelle und kulturelle Hürden, die eine breite Adaption verhindern.
1. Die Infrastruktur ist eine andere
- Deutsche Innenstädte sind nicht auf großzügige Zufahrten ausgelegt. Die meisten Stores befinden sich in dicht bebauten Gebieten – Parkbuchten mit Personalservice? Fehlanzeige.
- Viele Filialen haben keine ausgewiesenen Stellplätze vor der Tür. Die Logistik ist schlicht zu komplex.
2. Die Mentalität der Kunden unterscheidet sich
- Deutsche Kund:innen sind gewohnt, ihre Einkäufe selbst abzuholen – und oft bewusst bereit, den Laden zu betreten.
- Vertrauen und Kontrolle spielen eine größere Rolle. Viele möchten die Ware sehen, anfassen oder sich spontan umentscheiden.
- Der Gedanke, jemanden zum Auto zu bestellen, wirkt für manche eher unangenehm oder gar übertrieben.
3. Die Technik hinkt oft hinterher
- Funktionierende Apps, Live-Tracking, reibungslose Kommunikation mit dem Personal? Leider noch keine Selbstverständlichkeit in vielen Handelsketten.
- Was in den USA aus einem Guss kommt, wird hier oft halbherzig getestet – oder bricht an fehlenden Schnittstellen zusammen.
Was lernen wir daraus?
Nur weil ein Konzept in einem Markt funktioniert, heißt das nicht, dass es sich 1:1 auf andere Regionen übertragen lässt. Der Erfolg von Omnichannel-Services hängt nicht nur von der Technologie ab – sondern vor allem von Kultur, Infrastruktur und Erwartungshaltung der Kund:innen.
Deutschland braucht eigene Lösungen, die zur lokalen Realität passen. Click & Collect, Paketstationen, persönliche Beratung mit digitaler Terminbuchung – all das funktioniert hier gut, weil es auf Vertrauen, Kontrolle und Effizienz abzielt.
Die Herausforderung für Händler liegt darin, nicht blind zu kopieren, sondern lokal zu denken – und dabei offen für neue Wege zu bleiben. Denn Innovation ist nicht nur das, was anders ist – sondern das, was wirklich genutzt wird.